Marktforschung in digitalen Kanälen
Marktforschung kommt in Organisationen in vielfältiger Form zum Einsatz – beispielsweise analysieren Unternehmen Verkaufszahlen oder Onlineinteraktionen in stark vorstrukturierter Form mithilfe komplexer Auswertungsverfahren, oder sammeln Reaktionen auf neue Designs oder Preispyramiden in unverbindlichen Gesprächen mit Außendienstmitarbeiter:innen oder langjährigen Kund:innen. Je nach Fragestellung, Expertise, Budget oder Wichtigkeit von Entscheidungen bieten sich für Unternehmen unzählige Möglichkeiten, Entscheidungen durch Information zu verbessern. Zu methodischen Herangehensweisen, analytischen Zugängen und den jeweils resultierenden Nutzen gibt es eine Vielzahl an einschlägiger Spezialliteratur.
Der digitale Kontext hat diese Einsatzfelder nochmals deutlich erweitert – methodische Entwicklungen, die globale Verfügbarkeit von potenziellen Interviewpartner:innen zu leistbaren Kosten, aber auch höhere Rechenleistungen sowie (teil)automatisierte Auswertungen bieten Manager:innen ganz neue Möglichkeiten, Daten zu sammeln, auszuwerten und zu interpretieren.
Im Folgenden schildere ich exemplarisch drei Einsatzfelder im eCommerce-Kontext und nenne konkrete Empfehlungen für den Einsatz von Marktforschung in digitalen Absatzkanälen.
Digitale Kanäle sind ein Experimentierfeld
„Handel ist Wandel“ – schon in analogen Kanälen ist die rasche Veränderung im Handel sprichwörtlich, noch einfacher sind Sortiments-, Angebots- oder Präsentationsanpassungen in digitalen Kanälen. Diese Flexibilität birgt Gefahren: Wenn die gewünschten Ergebnisse sich nicht einstellen, sind Adaptionen im Auftritt einfach und schnell möglich. Sollten sich dann die Ergebnisse in die erwünschte Richtung bewegen, ist die Verlockung groß, die soeben gesetzten Adaptionen dafür verantwortlich zu machen – auch wenn viele andere Gründe dahinter stecken mögen. Umso wichtiger ist eine valide Bewertung der Wirksamkeit unterschiedlicher Maßnahmen.
Die Königsklasse stellen sogenannte A/B-Experimente dar: Zwei oder mehr unterschiedliche Promotions, Sortimente, Preise, etc. werden parallel ausgespielt – Besucher:innen der Website werden zufällig einer der Varianten zugeordnet. Nach einer ausreichend hohen Zahl an Nutzer:innen, Besucher:innen oder Käufer:innen kann die Effektivität der Varianten miteinander verglichen werden: Hat sich eine der beiden Varianten als wirksamer herausgestellt? Funktioniert eine der beiden Varianten bei bestimmten Zielgruppen (junge Besucher:innen, Stammkund:innen) besser als die andere? Dementsprechend kann diese Variante zukünftig zum Einsatz kommen bzw. wiederum gegen neue Alternativen getestet werden.
Was simpel klingt, bedarf sorgfältiger Planung, präziser Umsetzung und valider Analysen. Die unterschiedlichen Stimuli sind so zu gestalten, dass allfällige Unterschiede tatsächlich auf die manipulierten Faktoren zurückgeführt werden kann. Auch sollten Tests keine Reaktion auf spontane Ideen des Managements sein, sondern Teil eines systematischen Prozesses, der kontinuierliche Verbesserung erlaubt: Gemeinsames kritisches Sensemaking ist wie bei jeder Form von Marktforschung essenziell.
Digitale Kanäle sind ein Datenparadies
Jede Aktivität von Kund:innen im Netz, egal ob Websitebesuch, Interaktion mit Posts in sozialen Medien, Antworten auf Fragebögen oder Kaufakte produziert Daten. Diese sind Segen und Fluch zugleich. Um Daten nicht nur zu produzieren, sondern auch zu nutzen, bedarf es eines nachvollziehbaren Datenmodells: Welche Daten benötigen wir, um das Informations- und Entscheidungsverhalten unserer (potenziellen) Kund:innen zu beobachten und daraus Schlussfolgerungen für wichtige KPIs und deren Treiber ziehen zu können?
Daten, die durch Marktforschung entstehen (Website-Visits, Social-Media-Nutzung, Kundenfeedback, Bestellakte) können CRM- oder Logistik-Aktivitäten nur dann effizient unterstützen, wenn Unternehmen auf einen validen Datenpool zurückgreifen können. Sind es meine bestehenden Kund:innen oder Sales Qualified Leads, die auf bestimmte Angebote reagieren? Welche der bestehenden Kund:innen eignen sich mehr oder weniger gut für Word-of-Mouth-Kampagnen und wie kann ich zukünftig die dafür geeignetsten Kund:innen identifizieren? Wie wirksam sind spezifische Preispromotions – führen sie zu höheren Umsätzen, Deckungsbeiträgen oder zu Kannibalisierung? Geschicktes Datenmanagement erlaubt die Beantwortung solcher Fragen, fehlende Daten erzeugen eine Black Box, die zukünftige Aktivitäten nicht informiert.
Digitale Kanäle erhöhen die Geschwindigkeit, aber nicht immer die Qualität
Die Veränderungen in der Marktforschungsbranche der letzten zwanzig Jahre sind beeindruckend. Spieler wie Survey Monkey oder Qualtrics haben die Platzhirschen verdrängt oder zumindest die etablierten Prozesse massiv verändert. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Marktforschungsprojekt „automatisch“ Monate, oder zumindest Wochen, dauert. Theoretisch kann ein Unternehmen in wenigen Stunden einen Fragebogen gestalten, digital an eine Zielgruppe verschicken und zumindest simple Auswertungen vollautomatisch erstellt bekommen. Das lang etablierte Mantra „Wähle 2 aus 3: Billig, Gut, Schnell“ scheint zumindest in der Marktforschung nicht mehr zu stimmen.
Oft allerdings doch: Die auf den ersten Blick so verlockenden Instrumente zur Erstellung von Fragebögen oder zur Akquise von Befragungsteilnehmer:innen suggerieren dass jeder Marktforschung beherrscht und verstellen vielfach den Blick auf die Basisvoraussetzungen guter Marktforschung: Fragestellungen, die relevante Informationen liefern, Befragte, die diese Informationen haben und bereitstellen wollen, Auswertungsverfahren, die für die gesammelten Daten geeignet sind und in einer Form aufbereitet werden, die Entscheidungsträger verstehen. All diese Voraussetzungen sind weiterhin nötig, um Marktinformationen in valider Form zu sammeln und zu nutzen. Es kommt nicht nur auf die Tools an, die die digitale Welt offeriert, sondern auch auf Nutzer:innen, die mit diesen umgehen können.
Dos and Don’ts
Test, Learn, Implement, Test, Learn, Implement, …
Digitale Kanäle sind prädestiniert für permanente Verbesserung – nutzen Sie diese Chancen. Trotz der Möglichkeiten, viele Daten rasch und zu geringen Kosten zu sammeln, sollten beim Qualitätsanspruch keine Abkürzungen gewählt werden. Marktforschung ist Handwerk – ohne dementsprechende Skills liefern noch so viele Daten keinen sinnvollen Mehrwert.
Differenzierung und Markenfit auch in der Marktforschung
Auch Marktforschung ist ein wichtiger Kontaktpunkt – stellen Sie sicher, dass Befragungsinstrumente, Promotions, oder Online-Gespräche mit Kund:innen ihren Beitrag liefern, zur gewünschten Reputation der Marke beizutragen. Schwer nachvollziehbare Fragestellungen oder Tippfehler sind in digitalen Befragungssituation genauso ärgerlich wie in analogen.
Dashboards als Informationssystem
Marktforschung leidet oft unter ihrer geringen Sichtbarkeit. Reports sind mühsam zu lesen, Präsentationen nur einer ausgewählten Managergruppe zugänglich, und zugrundeliegende Daten nicht öffentlich – all diese Restriktionen sind digital auflösbar: Relevante Informationen können zielgruppengerecht aufbereitet und permanent und (wo sinnvoll) in Echtzeit verfügbar gemacht werden. Dashboards bieten die Chance, betroffene Mitarbeiter:innen auf einen vergleichbaren Informationsstand zu heben und damit eine wertvolle Basis für gemeinsames Sensemaking und bessere Entscheidungen zu liefern. Aber auch hier gilt: nur valide Information liefert einen Mehrwert.
Weiterführende Literatur
- The SAGE Handbook of Online Research Methods / Fielding, Nigel G.; Blank, Grant; Lee, Raymond M. – London : SAGE Publications Ltd, 2016 – 684 p. – ISBN: 9781473959309
- Kozinets, R. V. (2019). Netnography: The essential guide to qualitative social media research. Sage.
- Rambocas, M., & Pacheco, B. G. (2018). Online sentiment analysis in marketing research: a review. Journal of Research in Interactive Marketing.
- Ilieva, J., Baron, S., & Healey, N. M. (2002). Online surveys in marketing research. International Journal of Market Research, 44(3), 1-14.
- Lee, T. Y., & Bradlow, E. T. (2011). Automated marketing research using online customer reviews. Journal of Marketing Research, 48(5), 881-894.
- Pauwels, K., Ambler, T., Clark, B. H., LaPointe, P., Reibstein, D., Skiera, B., Wierenga, B., & Wiesel, T. (2009). Dashboards as a Service: Why, What, How, and What Research Is Needed? Journal of Service Research, 12(2), 175–189.
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