Abstimmung und Konfliktmanagement Offline/Online
Organisationen sind in ein Netzwerk von Partnern eingebettet, das bestimmte Aufgaben im Zuge der Wertschöpfung übernimmt und dafür Ressourcen beiträgt:
- Kund:innen bezahlen für Leistungen und unterstützen im Idealfall mithilfe von word-of-mouth die Vermarktung der Unternehmensleistung
- Mitarbeiter:innen tauschen ihre Arbeitskraft und Kreativität gegen Lohn (eventuell auch Weiterbildung und Wohlbefinden)
- Lieferant:innen liefern Komponenten und werden dafür bezahlt
Ein großer Teil dieses Netzwerks befasst sich mit distributorischen Aufgaben, wie beispielsweise Vermarktung des Angebots, Beratung potenzieller Käufer:innen, logistischen Prozessen oder Zahlungsprocedere. Als Beispiel sei hier die Lufthansa genannt, die ihre Leistung mithilfe eines Netzwerks von Reiseveranstaltern, Ticketplattformen, anderen Fluglinien, Transportunternehmen, oder Kreditkartenorganisationen vertreibt.
Distributionsbeziehungen fördern die Abhängigkeit
Typischerweise besteht zwischen Organisationen und ihren für Distributionsaufgaben zuständigen Partnern ein enges, oft durch hohe gegenseitige Abhängigkeit gekennzeichnetes Verhältnis. Ein Einzelhändler im Textilsektor unterstützt einen Markenhersteller beispielsweise durch einen attraktiven Point-of-Sale, ausgebildete Mitarbeiter:innen, Investition in einen Vorrat der Produkte des Herstellers, Vorfinanzierung und möglicherweise Verzicht, ähnliche Leistungen anderer Hersteller im Sortiment zu führen. Diese potenziell hohe Abhängigkeit führt im Idealfall zu einer besonders engen und intensiven Zusammenarbeit, sodass beide Seiten diese Abhängigkeit als Chance und nicht als Gefahr wahrnehmen. Im Idealfall erzeugt sie ein hohes Commitment zur Fortführung und Stärkung dieser Beziehung.
Onlinekanäle bergen Chancen und Konfliktpotenzial
Ein Hersteller, der sich entscheidet, seine Leistungen online zu vertreiben, übernimmt fast immer einen Teil der Wertschöpfung selbst, der bisher von Distributionspartnern erbracht wurde (und für den diese auch kompensiert werden). Besonders Mitarbeiter:innen im Vertrieb sowie Handelspartner beäugen solche Aktivitäten meist kritisch – und das oft mit gutem Grund. Wenn es gelingt, die Kaufentscheidung durch eine attraktive Website zur Warenpräsentation und/oder durch einen für Kund:innen günstigeren Preis (mit höherer Marge) und/oder durch ein breiteres Sortiment zu erleichtern, werden sich Vertriebsmitarbeiter:innen sowie Handelspartner um ihre zukünftige Rolle im Wertschöpfungssystem sorgen. Im besten Fall finden die Netzwerkpartner gemeinsam einen Weg, wie sich die zukünftige Zusammenarbeit für beide Seiten gestalten soll, im schlimmsten Fall wird die Beziehung zerbrechen, mit möglicherweise negativen Konsequenzen für das gesamte System.
Beispiel Wein
Weinproduzenten im Bordeaux oder Burgund verkaufen ihre Weine oft über spezialisierte, meist lokale Großhändler. Diese garantieren eine markenadäquate Distribution (z.B. nicht nur an Länder, in denen Kund:innen Ballonpreise zahlen), finanzieren die Produktion lange vor der Auslieferung der Weine an Endkund:innen, und sichern damit eine gewisse Preisstabilität und damit Planungssicherheit.
Ein Produzent, der seinen um 50 Euro an diese Großhändler verkauften Wein im nächsten Jahr in Auktionen um ein Vielfaches höher angeboten findet, wird sich die Frage stellen, ob er an diesem massiven Preisaufschlag nicht auch selbst mitnaschen könnte – beispielsweise durch einen direkten Online-Vertrieb.
Chancen
- Direkter Kontakt zu Kund:innen
- Bessere Information wer wann wo wieviel kauft
- Deutlich höhere Marge
Risiken
- Kein Absatz in schlechten Jahren
- Fehlende Skills in der Vermarktung
- Gesunkenes Vertrauen der Handelspartner oder Beziehungsabbruch
Diese strategisch extrem bedeutende Entscheidung ist daher mit Umsicht zu treffen: Wie verändert sich das Wertschöpfungssystem? Welche Leistungen, die bisher durch Partner abgedeckt wurden, müssen nun selbst erbracht werden? Hat die Organisation die dafür notwendigen Fähigkeiten?
Dos and Don’ts
Die Marke als Basis für effektive Vertriebsgestaltung
Ein Distributionssystem leistet einen zentralen Beitrag zum Markenversprechen. Wenn die Marke als besonders innovativ (oder fürsorglich oder kompetent) gilt, dann müssen diese Qualitäten auch im Distributionssystem (egal ob online, offline oder hybrid) spürbar sein. Überlegen Sie, ob und in welcher Form ein bestimmter Vertriebsweg dieses Markenversprechen abbildet.
Der Kunde als Adressat
Welche Erwartungen Kund:innen im Kaufentscheidungsprozess an ein Unternehmen stellen (z.B. im Sinne von Informationsumfang, Auswahlmöglichkeiten, Personalisierung, Zahlungsmodalitäten), sollte im Distributionssystem Niederschlag finden. Welche Erwartungen welcher Kund:innen können wir mit welcher Kombination von Kanälen wie gut erfüllen? In den allermeisten Fällen ist aus dieser Brille eine Kombination unterschiedlicher Vertriebsvarianten sinnvoll, erfordert aber dementsprechende Koordination.
Differenzierung: Vertrieb als Chance sich zu unterscheiden
Wahrnehmung im Vergleich zum Wettbewerb hat seinen Ursprung auch in diversen Kontaktpunkten im Distributionssystem: Wo eine Leistung verfügbar ist, wie sie präsentiert wird, wie bei der Entscheidung unterstützt wird, kann den Unterschied zu Angeboten des Wettbewerbs ausmachen. Organisationen sollten sich sehr klar darüber sein, mithilfe welcher Prozesse (und Partner) sie sich in der Distribution von Mitbewerbern positiv unterscheiden – und sicherstellen, dass diese Differenzierungsquellen auch weiterhin präsent sind.
Segmentierung: Unterschiedliche Kanäle für unterschiedliche Kund:innen
Kundensegmente unterscheiden sich in ihren Erwartungen an einen Anbieter. Viele dieser Erwartungen betreffen den Vertrieb: Auswahl, Touch&Feel der Leistungen, Persönliche Interaktion, Möglichkeiten zur Personalisierung, Liefergeschwindigkeit, Zahlungsbedingungen. Nicht alle Vertriebskanäle sind geeignet, diese Erwartungen in ausreichender Qualität zu erfüllen. Es macht Sinn, den Onlinekanal für jene Segmente zu optimieren, deren Erwartungsprofil den Qualitäten dieses Kanals entspricht.
Spezialisierung der Vertriebskanäle
Aufgrund der unterschiedlichen Qualitäten verschiedener Absatzkanäle kann es sinnvoll sein, jedem bestimmte (und nicht notwendigerweise alle) Schritte von der Kontaktaufnahme bis zur Nachkaufbetreuung zukommen zu lassen. Man sollte sich überlegen, welche Schritte im Kaufentscheidungsprozess die Onlineschiene übernehmen kann (z.B. Basis-Information, Sortimentsüberblick, Preispunkte und Zahlungskonditionen) und welche an einem physischen Point-of-Sale passieren sollen (z.B. Beratung und Auswahl, Leistungsübergabe). Natürlich kann (auch in derselben Branche) es Sinn machen, einen Großteil der Aufgaben in einem oder in beiden Kanälen abzubilden – abhängig von der Marke, des Marktes oder der eigenen Fähigkeiten.
Kooperation statt Konflikt
Konflikte sind zwar nicht immer schädlich, meist binden sie jedoch Ressourcen, die anderweitig benötigt werden oder zerstören die Basis für zukünftige Kooperation. Wie in allen Beziehungen gilt: offene Kommunikation über Ziele und Pläne, Einbindung in Entscheidungen, gemeinsame Ziele (durch geschickte Incentivierung) erhöhen die Wahrscheinlichkeit gedeihlicher und für beide Seiten nutzenstiftender Zusammenarbeit. Hinter dem Rücken des Partners Aktivitäten zu setzen, die als bedrohlich interpretiert werden können, fördert Misstrauen und untergräbt die für Zusammenarbeit nötige Vertrauensbasis.
Konzertiertes Management des Systems
Ein Vorteil von Netzwerken (Teams) ist die Möglichkeit, Spieler so einzusetzen, dass sie ihre Stärken ausspielen können. Dementsprechend macht es Sinn, dass sich die Teilnehmer:innen eines Distributionsnetzwerks regelmäßig Gedanken darüber machen, wer welche Aufgaben übernehmen soll und ob die jeweiligen Stärken auch ausreichend zur Geltung kommen können. Feedback vom Markt, ob Kundenbefragungen oder Onlinefeedback, sollten dafür eine evidenzbasierte Grundlage schaffen.
Kannibalisierung ist nicht unbedingt negativ
Zusätzliche Vertriebskanäle (genauso wie neue Leistungen) werden bestehende Kanäle (bzw. das bestehende Sortiment) fast immer kannibalisieren. Aber auch hier gilt: wenn vom Markt geforderte Vertriebswege fehlen, dann wird der Mitbewerb diese Kund:innen anziehen. Im besten Fall vergrößert der zusätzliche Vertriebsweg den Kuchen, weil er in der Lage ist, zusätzliche Kund:innen zu erreichen oder deren Share-of-Wallet zu vergrößern.
Weiterführende Literatur
- Thomas, A. R., & Wilkinson, T. J. (2005). It’s the distribution, stupid!. Business Horizons, 48(2), 125-134.
- Herhausen, D., Binder, J., Schoegel, M., & Herrmann, A. (2015). Integrating bricks with clicks: retailer-level and channel-level outcomes of online–offline channel integration. Journal of retailing, 91(2), 309-325.
- Kollmann, T., Kuckertz, A., & Kayser, I. (2012). Cannibalization or synergy? Consumers‘ channel selection in online–offline multichannel systems. Journal of Retailing and Consumer Services, 19(2), 186-194.
- Neslin, S. A. (2022). The omnichannel continuum: Integrating online and offline channels along the customer journey. Journal of Retailing, 98(1), 111-132.
- Kusum L. Ailawadi, Paul W. Farris (2017), Managing Multi- and Omni-Channel Distribution: Metrics and Research Directions, Journal of Retailing, Volume 93, Issue 1, 2017, 120-135.
- Ailawadi Kusum L., Farris Paul W. (2020), Getting Multi-Channel Distribution Right. Hoboken, NJ: John Wiley & Sons.
Downloads
Download nur für registrierte User verfügbar.
Hier können Sie sich anmelden bzw. registrieren